class="csc-frame csc-frame-default"Kann Wissen wirklich »produziert« werden?

Zentrum Geschichte des Wissens

Universitaet Zuerich

Eidgenoessische Technische Hochschule Zuerich

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Zentrum Geschichte des Wissens

Universitaet Zuerich

Eidgenoessische Technische Hochschule Zuerich

UNSER AUSGANGSPUNKT

Geschichte des Wissens

Der Ausgangspunkt der Forschung am ZGW ist keine unité de doctrine, sondern ein geteilter Problem- und Fragehorizont, der auf der Annahme basiert, dass die Wissensentwicklung und ihre epistemischen, technischen und kulturellen Voraussetzungen sowie ihre Konsequenzen als grundsätzlich offener Prozess angesehen werden müssen. Unser Zentrum versteht sich daher als ein Ort, an dem in erster Linie historische, kulturwissenschaftliche und philosophische Reflexionen der Wissensentwicklung stattfinden sollen. Um vorschnelle Grenzziehungen in der Analyse der modernen Wissensgesellschaften zu vermeiden, etwa zwischen wissenschaftlichem und populärem Wissen, werden am ZGW methodisch die Zirkulationen verschiedener Wissensformen innerhalb der Gesellschaft in den Fokus gerückt. Dies umfasst sowohl eine Reflexion über die Entstehung, Erhaltung und den Verfall wissenschaftlichen, technischen und medizinischen Wissens, seiner Praktiken, Semantiken und materiellen Grundlagen, als auch das Nachdenken über nicht-wissenschaftliche Formen von Wissen, wie sie als Wert- und Praxisorientierungen in der Lebenswelt wirksam sind.

Die für das Kompetenzzentrum zentrale Kategorie »Wissen« wird in Abgrenzung zu einem traditionellen Begriff von Wissenschaft bzw. rein »wissenschaftlichem Wissen« folgendermassen umrissen:

Formen des Wissens
Wissen umfasst akademische, aber auch verschiedenste Formen von nicht-gelehrtem, von »öffentlichem« und »populärem« Wissen. Das alte epistemische Privileg des wissenschaftlichen Wissens weicht damit einem dynamischeren und praxiologischen, insgesamt damit komplexeren Begriff von Wissen.

Zirkulationen des Wissens
Wissen zirkuliert zwischen verschiedenen gesellschaftlichen Sphären. In diesen Austauschprozessen zwischen akademischen und nicht-akademischen Wissensformen wird neues Wissen generiert, verteilt und laufend verändert.

Praktiken des Wissens
Wissen ist nicht freischwebend: Wissen ist zum einen mit Institutionen verbunden und damit Teil von Machtbeziehungen; zum anderen ist Wissen immer mit materiellen Praktiken verwoben, von Medien, Repräsentations- und Visualisierungstechniken sowie von Sprach- und Diskursformen abhängig bzw. durch diese erst konstituiert.

Weiterführende Lektüre:

Pidgin Knowledge. Wissen und Kolonialismus (Harald Fischer-Tiné 2013)
Was ist Wissensgeschichte? (Philipp Sarasin 2011)
Wissensgeschichte - Eine Standortbestimmung (David Gugerli 2012)
Alle Editoriale unseres Jahrbuch fürs Wissensgeschichte (seit 2005)

UNSERE FORSCHUNG

Forschung am ZGW

Das ZGW förderte wissenshistorische Forschung auf unterschiedlichen Stufen: im Nachwuchsbereich im Rahmen von Dissertationen am Graduiertenkolleg sowie durch temporäre Assoziation von PostDocs mit ihren Forschungsprojekten am ZGW, dann allgemein durch finanzielle und organisatorische Unterstützung von Workshops, Tagungen, Forschungskolloquien und anderer wissenschaftlicher Diskussionsforen auf allen Ebenen, durch gemeinsame Publikationsprojekte wie Nach Feierabend - Zürcher Jahrbuch für Wissensgeschichte, durch Einladung von akademischen Gästen sowie durch die sowie durch die gemeinsame Entwicklung, Förderung und Durchführung von Forschungsprojekten durch die ZGW Mitglieder.

Unser Interesse

In unserer Forschung setzten wir uns mit Formen, Zirkulationen und Praktiken des Wissens auseinander und fragen beispielsweise ...

... danach, wie aus »Daten« »Fakten« werden und wie aus diesen Wissen wird, etwa mit Fokus auf die Geschichte elektronische Datenbanken;
...nach der Bedeutung moderner Medien wie dem Film und wissenschaftlichen Bildern und materialen Objekten für die Produktion und Zirkulation von Wissen;
... nach der Geschichte und Epistemologie der Lebenswissenschaften und deren Bedeutung für das heutige Selbstbild des Menschen in den Humanwissenschaften und in der Populärkultur;
... nach Grammatiken des Wissens, die unser gesellschaftliches Handeln prägen, sei es in Form von Figuren der Ausgrenzung und Anpassung oder etwa auch im Rahmen eines wirkmächtigen aktuellen Humankapital- und Risikodenkens;
.... nach globalen Genealogien der modernen Wissensgesellschaft, etwa im Kontext von kolonialer Medizin im 19. und frühen 20. Jahrhundert;
.... nach der Einbettung der Wissensproduktion und Wissenzirkulation in urbane Infrastrukturen;
... grundsätzlich nach dem Verhältnis von Geschichte und Philosophie des Wissens.

ARBEITSGRUPPEN / GROSSPROJEKTE

Abgeschlossene Grossprojekte

Conditio extraterrestris

Das bewohnte Weltall als literarischer Imaginations- und Kommunikationsraum 1600-2000

(Projektlaufzeit: 2013-2017)
Projektleiter: Philipp Theisohn
Homepage

Die Vorstellung des Weltalls als eines potentiell bewohnten oder bewohnbaren Lebensraums beherrscht das Selbstverständnis des neuzeitlichen Menschen bis heute. Wer ihn verstehen will, der muss die Geschichte der Bilder und Erzählungen ausserirdischen Lebens ernst nehmen – und aufarbeiten.
Die astronomische Erkundung des Weltalls ist seit Kepler untrennbar mit der Ausbildung einer ausserirdischen Phantasie verknüpft: Nicht allein die Konstellationen der Planeten interessieren, sondern wie man auf ihnen lebt bzw. leben könnte. Der literarischen Einbildungskraft kommt dabei eine koordinatorische Funktion zu, denn sie übermittelt die Bilder von den fremden Welten und Wesen und entwirft erzählend die bewohnte Galaxie als eine dem Menschen und seinen Wissenskulturen (von der christlichen Schöpfungslehre bis zur Evolutionstheorie) sinnhaft erscheinende Ordnung. Diesen Prozessen der Erzeugung und Vermittlung des extraterrestrischen Raumes will das Projekt in drei Schritten nachgehen. Zum Ersten beleuchtet es die poetischen Strategien, mit deren Hilfe die frühneuzeitliche Literatur den Konflikt zwischen der astronomischen Wahrheit der planetarischen Mehrzahl und der theologischen Wahrheit vom Menschen als Zentrum der Schöpfung moderiert. Zum Zweiten perspektiviert das Projekt die Geschichte der intergalaktischen Kommunikationsmedien als eine Geschichte moderner Inspirationstheorie. Schlussendlich soll zum Dritten die Frage geklärt werden, welche Bedeutung das Erscheinen des »ausserirdischen Lesers« für die Entwicklung neuer Erzählformen in der europäischen Literatur seit dem 18. Jahrhundert besitzt.
»Conditio extraterrestris« involves literary fiction as well as philosophical and theological speculations or astrobiological investigations. As long as the project conceives outer space as the historical product of intertwining poetics of knowledge, its investigations shed light both on the historical dimension of imaginary galaxies as well as on the cultural bases for contemporary and future outer-space expeditions.
Die »conditio extraterrestris« umfasst die literarische Fiktion ebenso wie die philosophische und theologische Spekulation oder die astrobiologische Untersuchung. Insofern das Projekt den ausserirdischen Raum als das historische Produkt ineinandergreifender Wissenspoetiken begreift, gibt es zum einen Aufschluss über die historische Dimension der Weltallphantasie wie zum anderen über die kulturellen Grundlagen heutiger und kommender Weltallexpeditionen.

Mimetische Ökonomien

(Projektlaufzeit 2013-)
Projektverantwortliche: Monika Dommann

Unter dem Stichwort »Mimetischen Ökonomien« werden unternehmerische und gestalterische Praktiken der Invention, Innovation und Imitation vor dem Hintergrund ihrer Regulierung durch Marken betrachtet. Mimetische Ökonomien operieren im Spannungsfeld zwischen einem Postulat zum Modernen (seit Charles Baudelaire als Akt der permanenten Erneuerung verstanden) und der Aneignung von Traditionen. Zudem agieren sie unter Anbindung an die Logik des Rechts (bzw. dessen Umgehung oder gar Überschreitung) und an die Spielregeln kapitalistischer Märkte. Mittels eines Studiums der Markenpflege, des Markenschutzes und der Markenimitation soll den Praktiken der Mimesis gleichsam durch die Hintertür auf die Spur gekommen und einer kultur- und medientheoretischen Analyse zugänglich gemacht werden.
Sie werden erstens medientheoretisch betrachtet, zweitens als visuelle und materielle Kulturen und sie sollen drittens kulturwissenschaftlich als Verbindungen von Menschen und Dingen analysiert werden.

Dealing with Human Capital

(Laufzeit: 2011-2014)

This SNF project aims to explain the rise of the human capital theory. It intends a comprehensive historical analysis of those administrative and informational technologies that were used for (1) the assessment, (2) the allocation and (3) the production of human capital from 1960 to 2000. We will argue that »human capital« has become a central resource of the information and knowledge society and stands for the theoretical and practical transformation of work in the second half of the 20th century. David Gugerli is the director of this project.

Modules:
Allocation (David Gugerli)
Assessment (Brigitta Bernet)
Production (Malte Bachem und Eneia Dragomir) 

Geschichte der Schweizerischen Akademie der Naturwissenschaften

(Laufzeit: 2011-2014)

Projektverantwortlicher: Patrick Kupper
Projektmitarbeiter: Bernhard Schär, Franziska Hupfer

Unser Forschungsprojekt versteht sich als Beitrag zu einer transnational ausgerichteten Wissensgeschichte. Es setzt sich die Aufgabe, die 200-jährige Geschichte der Schweizerischen Akademie der Naturwissenschaften in Verschränkung mit dem gesellschaftlichen Wandel zu bearbeiten. Gefragt wird nach der sich ändernden gesellschaftlichen Bedeutung der SCNAT, den Funktionen, welche die Akademie für die Gesellschaft oder gesellschaftliche Teilbereiche übernahm (und wieder abgab), sowie den Leistungen, die sie erbrachte oder zu erbringen versuchte. Institutionell versprechen drei Zusammenhänge von besonderem Interesse zu sein: Erstens die Rolle der Akademie in der Organisation des nationalen Wissenschaftsbetriebs; zweitens das Verhältnis der Akademie zum schweizerischen Nationalstaat; und drittens die Funktion der Akademie als Drehscheibe sowohl für die regionale wie für die internationale Vernetzung der Naturwissenschaften. Da bislang kaum Darstellungen zur Geschichte der SCNAT vorliegen, beruht unsere Forschung in weiten Teilen auf der erstmaligen Auswertung von Archivmaterial.

Projektpartner: Akademie der Naturwissenschaften Schweiz SCNAT

Imitation - Assimilation - Transformation

(Laufzeit: 2010-2013)

Das SNF Sinergia Projekt Imitation - Assimilation - Transformation wurde von den ZGW Mitgliedern Andreas Kilcher, Michael Hampe und Harald Fischer-Tiné konzipiert und es untersucht seit 2010 aus literaturwissenschaftlicher, historischer und philosophischer Perspektive, welche Rolle die Kategorien der Imitation, Assimilation und Transformation in Epistemologien, Semantiken und Praktiken der Anverwandlung spielen. Es wird vom Schweizer Nationalfonds (SNF) gefördert und findet in Kooperation mit der Universität Basel und der Universität Zürich statt. Hier geht es zur Homepage des Projekts.

Kolonialismus ohne Kolonien? Eine postkoloniale Diskursanalyse der Schweiz

(Laufzeit: 2010-2013)

Projektleiterin: Patricia Purtschert
Projektmitarbeiterinnnen: Marina Lienhardt, Jovita dos Santos Pinto

Ziel dieses SNF Ambizione Projektes ist es, den Wissenstransfer der postkolonialen Theorie in die Schweiz anzuregen und eine postkoloniale Perspektive auf die Schweiz anzuwenden. In den vergangenen Jahren wurden insbesondere im Bereich der Wirtschaftsgeschichte Forschungsprojekte durchgeführt, welche die komplexen ökonomischen Verstrickungen von Schweizer AkteurInnen mit dem Kolonialismus und dem transatlantischen SklavInnenhandel belegen. Obwohl keine offizielle Kolonialmacht, war die Schweiz dennoch auf vielfältige Weise in den Kolonialismus eingebunden. Diese Erkenntnis lässt sich, insbesondere mit den Ansätzen der Postcolonial Studies, über wirtschaftliche Verbindungen hinaus auf andere gesellschaftliche Bereiche ausweiten. Das vorliegende Projekt widmet sich den kulturellen Formen des Postkolonialismus; es untersucht die Bedeutung von kolonialen und postkolonialen Repräsentations- und Wissenssystemen im Schweizer Kontext. Die verbreitete Haltung, wonach die Schweiz mit dem Kolonialismus nichts zu tun gehabt habe, kann derart aus einer kulturwissenschaftlichen Perspektive hinterfragt werden.

Language and »Knowledge Society« in the Age of Globalization

(Laufzeit: 2013-2016)

Projektleiter: Harald Fischer-Tiné
Forscher: Dr. Vasudha Bhardwaj

The main objective of this project is to examine what a society considers »useful« knowledge and the consequences of such a perception, focusing specifically on the emphasis on the teaching and learning of English. This project analyses the educational and epistemological history of a specific case where English has had the maximum socioeconomic purchase for decades – postcolonial India – to infer what the future might hold in a world that privileges a single non-native language. It will test the working hypothesis that although English is undoubtedly »useful« given the current global conditions, an overemphasis on the language as a long-term vehicle for the creation and sustenance of a knowledge society risks actively undercutting the larger goals of true knowledge creation and dissemination, leading instead to an untenable loss of epistemological diversity.

This project comes at a time when increasing global economic integration has led to arguments that the English language is the key to prosperity and growth, and is therefore the most »rational« and »useful« choice. However, the identification of English as the language of international science and business is also leading to a conflation of different concepts like »knowledge«, »skills« and »information«. Such a conflation may have consequences contrary to the ones desired. This project studies mainstream and alternate approaches to education in order to arrive at a better understanding of both the potential and pitfalls along the path of a an English language-based education in a non-English-speaking context.

Die globale Antialkoholbewegung

(Laufzeit: 2010-2013)

Das Forschungsprojekt untersucht die globale Antialkoholbewegung, deren Hochkonjunkturen sich grob auf die Periode von 1870 bis zum 1. Weltkrieg und auf die Zwischenkriegszeit datieren lassen. Das Projekt nimmt transnationale Netzwerke der Antialkoholaktivisten aus unterschiedlichen regionalen Perspektiven in den Blick. Komplementär dazu vergleichen die Teilprojekte lokale und nationale Initiativen in unterschiedlichen Interaktionsgefügen. Als SNF-Teilprojekt 1 »Mission und Sozialhygiene: Schweizer Anti-Alkohol-Akteure im Kontext von Internationalismus und Kolonialismus, 1870–1940« untersucht das auswärtige Engagement Schweizer Sozialhygieniker und Missionare in unterschiedlichen Konstellationen: auf internationalen Konferenzen, im Kontext des Völkerbundes, wie auch in deutschen und englischen Kolonialterritorien in Westafrika. SNF-Teilprojekt 2 »La defensa de la raza« wird durch Sönke Bauck bearbeitet. Zur Analyse der engen Verbindung zivilgesellschaftlichen Engagements und medizinisch-wissenschaftlicher internationaler Wissenszirkulation in den Cono Sur Ländern wurde ein Ansatz gewählt, der expert activists als Akteure ins Zentrum rückt. Nikolay Kamenov erstellt im Rahmen einer Kooperation mit der Forschergruppe »Akteure der kulturellen Globalisierung« (DFG/SNF) eine Dissertation zur bulgarischen Antialkoholbewegung. Die enge Verbindung zwischen internationaler Frauenbewegung und dem »Kampf gegen den Alkoho« wird im Rahmen eines assoziierten Post-Doc Projektes durch Jana Tschurenev untersucht
Verantwortlicher Projektleiter ist Harald Fischer-Tiné.

Schreibtischstudien - Schriftgut als Forschungsmaterial in Natur-, Sozial- und Geisteswissenschaften

(Laufzeit: 2013-2016)

Aufzeichnungen, Dokumente und Literatur gehören zu jeder Forschungsarbeit in allen Wissenschaftsbereichen. In einigen Fällen kommt solchem Schriftgut aber ein besonderer Status zu: Es bildet dann die (häufig einzige) Materialgrundlage für die Bearbeitung einer Forschungsfrage und die Gewinnung von Erkenntnissen. In unserem Projekt untersuchen wir, wie in der historischen Klimaforschung, der empirischen Sozialforschung und der Geschichtswissenschaft Schriftgut für Forschungszwecke zusammengestellt und ausgewertet wird, wie also zum Beispiel aus Wetterdiarien des 17. Jahrhunderts Daten für Klimarekonstruktionen hervorgehen, wie aus der Aktenabgabe einer Behörde zuletzt eine Quelle in einer historischen Untersuchung wird oder wie Umfragen durchgeführt und die erhobenen Angaben in Daten und wissenschaftlich robuste Aussagen transformiert werden. Uns interessiert dabei unter vergleichender Perspektive, (1) welche Herausforderungen sich in den einzelnen Kontexten im Umgang mit Schriftgut einstellen und welche Praktiken entwickelt werden, (2) welche Standards der Bewährung für die Konstitution und Auswertung von Schriftgut jeweils gelten und insgesamt (3) welche Konsequenzen die Gründung von Forschungsfragen auf Schriftgut für die Forschungspraxis und den Geltungsanspruch von wissenschaftlichen Erkenntnissen hat.

Das Projekt wird in Form von drei Fallstudien zu den genannten Forschungszusammenhängen durchgeführt, in denen die Beobachtung der rezenten Praxis mit Sondierungen ihrer Geschichtlichkeit verbunden werden soll. Bei den untersuchten Unternehmungen handelt es sich um Forschungsfelder mit unmittelbarer alltäglicher Bedeutung. Empirische Sozialforschung wirkt mit ihren Ergebnissen zurück auf die Gesellschaft im Ganzen. Historische Klimaforschung liefert wichtige Inputs für die Untersuchung des Klimawandels. Die Geschichtswissenschaft formt entscheidend unser kulturelles Selbstbild. Insofern ist ein genaues Verständnis der Umstände und Bedingungen ihrer Forschungspraxis eine Voraussetzung dafür, Reichweite und Geltungsanspruch der gewonnenen Erkenntnisse einzuschätzen. Der Einbezug der Geistes- und Sozialwissenschaften in das Forschungsprojekt bildet für die Wissenschaftsforschung – mit ihrem traditionellen Fokus auf die Naturwissenschaften – eine neue Herausforderung. Die vergleichende Perspektive gestattet es ferner, Übereinstimmungen und Unterschiede zwischen den verschiedenen Bereichen des Wissenschaftssystems ‚von unten' her zu akzentuieren. Von Interesse sind hier z.B. (neben einer Reihe von weiteren Aspekten) die jeweiligen Daten- bzw. Belegbegriffe in den untersuchten Unternehmungen und die damit verknüpften Vorstellungen vom Status des ausgewerteten Forschungsmaterials
Verantwortliche Projektleiter sind Michael Hagner (ETH Zürich, ZGW) und Christoph Hoffmann (Universität Luzern).

Das Wissen des Zionismus

Form und Funktion von Wissen und Wissenschaft in zionistischer Publizistik und Literatur
(Laufzeit: 2013- )

Projektleiter: Andreas Kilcher
Webseite

Wissen und Wissenschaft spielten bei der Herausbildung des Zionismus um 1900 eine herausragende Rolle. Die Realisierung der Ziele des politischen Zionismus erforderte verstärkt naturwissenschaftliches und technisches Wissen, der Kulturzionismus wiederum ging mit kultur- und geisteswissenschaftlichen Projekten einher und leistete grundlegende Reflexionen in Bezug auf das Wissen und seine kulturpolitische Funktion. Der engen Bindung an die wissenschaftlichen Erkenntnisse der Moderne wurde zugesprochen, dass sie der jüdischen Moderne zwischen Assimilation und Diaspora eine neue, nationale Dimension verleihen konnten. Vor diesem Hintergrund macht es sich das geplante Forschungsprojekt zum Ziel, Form und Funktion von Wissen und Wissenschaft innerhalb der zionistischen Publizistik und Literatur von der Entstehung der zionistischen Bewegung in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts bis in die Zeit der Staatsgründung um 1945 zu untersuchen. Es wird dabei davon ausgegangen, dass sich die Konstitution eines dezidiert ›zionistischen Wissens‹ vor allem auf der Ebene wissenschaftlicher Konzeptionen, ihrer publizistischen Konkretisierung und ihrer literarischen Verhandlung untersuchen lässt – daher die Lokalisierung des Gegenstandes in Publizistik und Literatur. Das ›Wissen des Zionismus‹ ist nicht nur von politischer Pragmatik, sondern wesentlich auch von rhetorischen, ästhetischen und poetologischen Schreibweisen bestimmt. Es soll mithin herausgearbeitet werden, wie sich Vorstellung, Konzeption sowie Verbegrifflichung und Funktionalisierung von Wissen in zionistischer Wissensverarbeitung und -vermittlung charakterisieren lassen.

Diese Formation und Transformation des Wissens im Zionismus setzt konkret auf zwei Untersuchungsfeldern (Subprojekt A und B) an, die sich den beiden zentralen Ausprägungen des Zionismus, dem politischen Zionismus und dem Kulturzionismus, widmen. Erstens soll der zionistische Wissensbegriff des politischen Zionismus untersucht und die vielschichtigen soziologischen, technischen und ökonomischen Diskurse in den Blick genommen werden. Zweitens ist die kulturpolitische Reflexion des Wissensbegriffs innerhalb des Zionismus zu erforschen. In der Zusammenschau dieser beiden Untersuchungsfelder sollen Dynamiken und Strategien herausgearbeitet werden, wie Wissen innerhalb politischer Bewegungen instrumentalisiert bzw. funktionalisiert und wie es in publizistischen und literarischen Diskursen – auch in rhetorischen und ästhetischen Formen – verhandelt wird.